24.11.2009


November-Plenumssitzung der Treptow-Köpenicker BVV

Abstimmungskrimi wegen Seniorenfreizeitstätten

Eigentlich sollte die Debatte über den Bezirkshaushalt 2009/2010 das zentrale Thema der BVV-Sitzung sein.

„Eigentlich“ – aber es kam anders.

Etwa 200 Zuhörer und Zuhörerinnen, zumeist älteren Semesters, hatten sich eingefunden. Und die hatten offenkundig nur ein Anliegen: Wie sieht es mit der Zukunft der öffentlichen Seniorenfreizeitstätten aus? Werden sie weiterhin vom Bezirksamt betrieben oder sollen sie teilweise oder ganz auf Freie Träger übergehen? Genau einen solchen Trägerwechsel zu ermöglichen war der Inhalt eines Antrags auf der Tagesordnung, unterzeichnet von der SPD- und der CDU-Fraktion sowie der FDP-Gruppe.

Eigentlich wäre dieser Tagesordnungspunkt (TOP) erst sehr spät aufgerufen worden. Wenn überhaupt. Denn vorher hätte noch der Bezirkhaushaltsentwurf mit seinem jährlichen Finanzvolumen von über 400 Millionen Euro behandelt werden müssen. Und das braucht erfahrungsgemäß viel Zeit. Ungewiss, ob dann noch Zeit für die Senioren-Thematik zur Verfügung gestanden hätte.

Also stellte die Linksfraktion den Geschäftsordnungs(GO)-Antrag, diesen TOP vorzuziehen, noch vor den obligatorischen „Bericht der Bezirksbürgermeisterin“. Dieser GO-Antrag bekam problemlos die (einstimmige) Mehrheit. Niemand will es sich mit 200 Zuhörern verscherzen.

Diese füllten nicht nur den Zuschauerraum. Sie standen auch dicht gedrängt im Foyer, ausgestattet mit Schildern und auch Trillerpfeifen, und konnten dort das Geschehen im Rathaussaal über einen großen Monitor verfolgen.

Ihre Meinung zum Anliegen war unmissverständlich: Sie wollten die Beibehaltung des Status quo, also weiterhin die bezirkliche Trägerschaft.

Die Antragsteller argumentierten, Vielfalt in der Trägerschaft sei förderlich für „Kreativität“ und „Engagement“, so in der Antragsbegründung. Die Kritiker hielten dem entgegen, der derzeitige Zustand finde uneingeschränkte Zustimmung, ein Wechsel zu freier Trägerschaft berge die Gefahr der Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse für dort Beschäftigte im Vergleich zu den Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst.

Der Antragstext lautete:
Das Bezirksamt wird ersucht, bis zum Ende des II. Quartals ein tragfähiges Konzept zur künftigen Struktur der Seniorenfreizeiteinrichtungen im Bezirk zu erarbeiten, und dabei zu klären, unter welchen Bedingungen ein Teil der Seniorenfreizeiteinrichtungen in freie Trägerschaft überführt werden kann. Dieses Konzept soll der Bezirksverordnetenversammlung vorgelegt werden.

Die SPD-Fraktion brachte einen Änderungsvorschlag ein, der für die Erarbeitung des geforderten Konzeptes die Einbeziehung der Seniorinnen und Senioren sowie der Einrichtungen vorsah. Der Vorschlag wurde mit Mehrheit angenommen.

Für diesen geänderten Antrag forderte die NPD-Fraktion eine namentliche Abstimmung. Üblicherweise wird mit „Hand-Hochheben“ abgestimmt. „Namentliche“ oder „geheime“ Abstimmungen müssen eigens beantragt werden. „Geheime“ Abstimmungen werden beantragt, wenn Überläufer, die sich nicht zeigen wollen, erwartet werden, welche dann die erwartete Mehrheit kippen sollen. „Namentliche“ Abstimmungen sind für die Nachwelt gedacht: Niet- und nagelfest soll gezeigt werden können, wer wie abgestimmt hat.

Nicht Wenige der Verordneten dürften über die in der Geschäftsordnung festgelegte Regelung erleichtert gewesen sein, dass  ausreichend ist, wenn eine der Fraktionen eine vom üblichen Abstimmungsmodus „Hand-Hochheben“ abweichende Art der Abstimmung fordert – und nicht erst über diese Forderung das gesamte Plenum abstimmen muss. Zu peinlich ist es den Verordneten der demokratischen Fraktionen und Gruppen, einem NPD-Antrag seine Zustimmung zu geben.

Das Abstimmungsergebnis des Ursprungantrags mit der bereits positiv beschiedenen Änderung lautete: 27 Pro-Stimmen zu 27 Kontra-Stimmen. Die „Pro-Stimmen“ setzten sich zusammen aus den Stimmen der SPD-, CDU- und FDP-Verordneten, also, wie zu erwarten, der Antragsteller, die „Kontra-Stimmen“ aus den Stimmen der Linkspartei-, Bündnis90/Grüne-, SAG- (die Nachfolgepartei der WASG), NPD-Verordneten und Peter Thuge von den Grauen Panthern. Es gibt insgesamt 55 Bezirksverordnete, ein SPD-Verordneter war nicht anwesend.

Der Antrag war somit „abgelehnt“ – denn bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als „abgelehnt“!

Doch der Nervenkitzel ging weiter. Noch während der Stimmenauszählung, und noch vor der Bekanntgabe der Voten der einzelnen Verordneten gab Peter Thuge von den Grauen Panthern bekannt, er habe sich bei der Stimmabgabe geirrt. Er habe seinen Stimmzettel „Nein“ in die falsche der beiden Boxen geworfen. War die Wahl  „ungültig“ oder nicht – darüber entspann sich nun der Streit. Winfried Blohm, der „Grand-Old-Man“ der SPD-Fraktion und frühere Bezirksvorsteher, vertrat die Auffassung: „gewählt ist gewählt“! Dem hielt Dan Mechtel (Linke), Rechtsanwalt, entgegen: Mit einer Wahl müsse laut Gesetz der Wählerwille zum Ausdruck kommen. Mit Thuges Erklärung sei jedoch klar, dass dies nicht geschehen sei, Wahlwiederholung sei geboten.

Folge: Siegfried Stock (SPD), jetziger Bezirksvorsteher, berief den Ältestenrat ein. Der konnte offenbar auch keine Einigung erzielen, denn er empfahl, die anwesenden Verordneten über die Frage „Wahlwiederholung oder nicht“ abstimmen zu lassen.

Abstimmungsergebnis: 27 Stimmen für Wahlwiederholung, 26 Stimmen dagegen, 1 Enthaltung, von Romana Miftari (SPD). Hätte das Abstimmungsergebnis wiederum   27 zu 27 gelautet, wäre die „Wahlwiederholung“ abgelehnt gewesen – und der geänderte Ursprungsantrag wäre wegen der falschen Stimmabgabe von Peter Thuge „angenommen“ gewesen.

So gab es eine Wahlwiederholung. Abstimmungsergebnis: Wiederum 27 zu 26 zu 1 – die Stimmenthaltung kam wiederum von Miftari. Damit war der geänderte Ursprungsantrag, mit seiner Forderung Freie Träger bei den vom Bezirk betriebenen Seniorenfreizeitstätten zum Zuge kommen zu lassen, „abgelehnt“.

Kurz vor 22 Uhr, dem „eigentlichen“ Sitzungsende, wurde der TOP „Entwurf des Bezirkshaushaltsplans für die Haushaltsjahre 2010 und 2011“ aufgerufen. Ein einmal aufgerufener TOP darf nicht abgebrochen werden, sondern muss bis zu Ende behandelt werden. Nach zum Teil sehr hitziger Debatte wurde der Haushaltsentwurf mit geringfügigen Änderungen zu Mitternacht „angenommen“.

Abstimmungsergebnis: 31 zu 24 (nun waren alle Verordneten anwesend). Linkspartei-, Bündnis90/Grünen- und NPD-Fraktion stimmten „dagegen“. Ebenfalls „dagegen“ stimmte Peter Thuge – dieses Mal mit „Hand-Hochheben“.

Peter Leiß
Bezirksverordneter

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