Von einem Stromausfall, wie in der November-Sitzung der BVV im Rathaus Köpenick geschehen, blieb die Dezember-Sitzung im Treptower Rathaus verschont. Doch die Nachwirkungen der vorzeitig abgebrochenen Sitzung waren noch zu verarbeiten. Schließlich mussten die noch nicht behandelten Tagesordnungspunkte (TOPs) nachgeholt werden. Es waren deren zehn, darunter auch die Drucksache VI/0094 („VI“ steht für 6. Wahlperiode) „Stasiüberprüfung der Bezirksverordneten und Bürgerdeputierten“.
Diese Überprüfung – ein Mal pro Wahlperiode – ist, im Unterschied zu Brandenburg, im Bundesland Berlin seit längerer Zeit gängige Praxis. Von daher war bereits bekannt, dass zwei Mitglieder der Linksfraktion hauptamtlich für die Stasi tätig waren. Philipp Wohlfeil, der Fraktionssprecher der Linksfraktion, ging – aus Datenschutzgründen ohne namentliche Nennung – auf die beiden ein und verwies darauf, dass sie keine Leute bespitzelt hatten, sondern in anderen Bereichen des DDR-Inland-Geheimdienstes tätig waren.
Nunmehr ergab die jüngste Überprüfung, dass zwei weitere Bezirksverordnete, die neu in die BVV gewählt worden sind, für die Stasi aktiv waren, darunter Fritz Liebenow von der NPD-Fraktion. In Form einer vorgelesenen Erklärung versuchte er den Eindruck zu erwecken, das Ganze sei einem missglückten Fluchthelferversuch geschuldet: Er habe versucht, im Kofferraum seines Autos einen DDR-Bürger in den Westen zu bringen, was jedoch schief lief. Im Zuge der Verhörungen, bei denen er mit dem Tod bedroht worden sei, habe er etwas unterschrieben, wobei er nicht wusste, was er da überhaupt unterschrieb. Seine Darlegungen schienen auf die Anwesenden nicht sehr überzeugend zu wirken. Auch die Unterstützung seines Fraktionssprechers Udo Voigt klang nach nicht mehr als einer Pflichtübung: Die NPD-Fraktion stehe voll hinter ihm – mehr nicht! Also kein Vorwurf unrechtmäßiger Unterstellungen, oder dergleichen.
Viele der weiteren Debattenbeiträge sollten Betroffenheit vermitteln. Mehr und mehr tauchten Begriffe auf, die der christlichen Ethiklehre entnommen sind, wie Reue oder Vergebung. Und dies nicht nur – wie zu erwarten - bei den Vertretern der CDU-Fraktion, sondern auch bei Mitgliedern der SPD-Fraktion. Ein etwas schärferer Zungenschlag kam durch Kolja Bartsch (SPD) in die Debatte, der die Auffassung vertrat, man solle nicht zu sehr auf die Art der Tätigkeit bei der Stasi abheben, und solchermaßen versuchen, sich individuell rein zu waschen. Qualitativ entscheidend sei die Teilnahme zu sehen – gemäß dem Motto „mit gehangen – mit gefangen“. Auch dem SPD-Fraktionssprecher Oliver Igel schien der Schritt zu einer mehr diversifizierten Betrachtungsweise zu weit zu gehen und er plädierte für die Beibehaltung des Täter- Opfer- Koordinatensystems.
Auffällig viele jüngere Bezirksverordnete, insbesondere von der bündnisgrünen und der SPD-Fraktion – also Personen, die die „DDR-Zeiten“ nicht bewusst erlebt haben konnten -, meldeten sich zu Wort. Sie bezogen sich auf in ihrer Herkunftsfamilie Erzähltes oder Ereignisse, oder Axel Sauerteig (Bü90/Die Grünen) auf seine Recherche, welche ergeben habe, dass auch er, der in Hessen aufgewachsen ist, von der Stasi zeitweise überwacht worden sei.
Ernst Welters (Linkspartei) vermisste die Einbeziehung des (westdeutschen) Geheimdienstes Bundesverfassungsschutz. Mit seiner politischen Biografie sei er selbst Betroffener: Er habe in West-Berlin einst für einen höheren Gewerkschaftsposten kandidiert und in diesem Zusammenhang sei eine Eintragung des Verfassungsschutzes an die Öffentlichkeit lanciert worden, um seine Wahl zu verhindern. Später habe sich herausgestellt, dass diese Eintragung nicht existierte, für ihn sei dies jedoch beispielhaft, wie mit Geheimdiensten, egal ob in „Ost“ oder „West“, Politik betrieben worden ist.
Im Laufe der Debatte habe sich bei ihm der Eindruck breit gemacht, dass diese auch etwas „mit einer Siegerpose zu tun“ habe. Dies wiederum rief die Bezirksbürgermeisterin Gabriele Schöttler auf den Plan: Sie habe den Beiträgen, insbesondere auch dem von Welters, sehr interessiert zugehört, Vieles habe sie nachdenklich gestimmt. Aber der Behauptung der „Siegerpose“ könne sie nicht zustimmen.
Es entstand der Eindruck, dass vieles noch nicht zu Ende diskutiert ist – und von manchen der TeilnehmerInnen auch nicht zu Ende diskutiert sein will. Es wird aller Voraussicht nach zu einer Neuauflage nach der nächsten Stasi-Überprüfung kommen. Vielleicht sollte dann die Bezirkspolitik zum Beispiel auch die Rolle der Blockflöten-Parteien mit in die Diskussion oder „Reflexion“ (auch dieser Ausdruck fiel in der BVV-Sitzung) einbeziehen.
Peter Leiß
Bezirksverordneter
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