Die Wahl zum Deutschen Bundestag, sie war drei Tage später – und sie warf ihren mächtigen Schatten auf die September-Sitzung der BVV.
Die Tagesordnungspunkte, für die einer der bezirklichen Verordneten verantwortlich zeichnete, wurden alle zunächst gecheckt, ob sie vielleicht etwas mit dieser Wahl zu tun haben könnten.
Als Ersten traf es Stefan Förster mit seiner Mündlichen Anfrage „Bisamratte versus Pitbull – Baumschäden in der Wattstraße“. Viele der Anwesenden hegten sichtlich Zweifel, ob diesen bekanntlich sehr umtriebigen FDP-Verordneten tatsächlich primär das Erkenntnisinteresse leitete, wissen zu wollen, welche der beiden Tiergattungen nun für die „gravierenden Baumschäden“ in der kleinen Straße in Oberschöneweide verantwortlich war. Auch Michael Schneider (Linkspartei), der für Straßenbäume zuständige Bezirksstadtrat, konnte es sich nicht verkneifen, in seiner Antwort eine Anspielung in Richtung Bundestags-Wahlkampf zu bringen.
Hoch her ging es beim letzten Tagesordnungspunkt, vor den Großen Anfragen, beim Thema Schließung der Friedrichshagener Postfiliale. Aber immer der Reihe nach.
Gleich zu Beginn der Sitzung gab der Fraktionssprecher der SPD, Oliver Igel, eine Persönliche Erklärung ab. Anlass war ein Schreiben aus der NPD-Bundesgeschäftsstelle in der Seelenbinderstraße, in welchem Abgeordnete des Landesparlamentes und auch Bezirksverordnete, welche für die NPD einen Migrationshintergrund aufwiesen, zur Ausreise in ihre „Heimatländer“ aufgefordert worden waren. Der Neonazi-Partei war es völlig egal, dass die von ihr Angeschriebenen durchweg deutsche Staatsbürger sind. Angesprochen darauf, auch von überregionalen Tageszeitungen, lautete das „Argument“, man gehe nicht nach der Staatsbürgerschaft, sondern nach der Abstammung – womit sich diese Partei wieder einmal als rassistische zu erkennen gab. Bekanntlich erfolgte prompt eine Polizei-Razzia unter dem Verdacht der Volksverhetzung in deren Bundesgeschäftsstelle.
Auch ein Verordneter der SPD-Fraktion, Vincent Paul, hatte solch ein Schreiben bekommen. Auf diesen Sachverhalt bezog sich die Persönliche Erklärung seines Fraktions-Kollegen. Oliver Igel stellte heraus, dass auch so schändliche Aktionen wie diese den demokratischen Parteien und Fraktionen nichts anhaben können, sondern, im Gegenteil, diese nur noch mehr darin bestärken, gegen die Neonazi-Partei gemeinsam vorzugehen. Der intensive Applaus für ihn, und insbesondere für den BVV-Kollegen Paul, war ein Gebot der Selbstverständlichkeit.
Hatten die Bezirkspolitiker nun gehofft, aufgrund der stark dezimierten Tagesordnung zu einem baldigen Ende der Sitzung zu kommen, so hatten sie sich zu früh gefreut. „Stark dezimiert“ deshalb, weil am Abend vor solchen BVV-Plenumssitzungen immer der Ältestenrat tagt. Es wird dort eine so genannte Konsensliste erstellt. Auf ihr werden all diejenigen Tagesordnungspunkte (TOPs) aufgeführt, bei denen Konsens bei den Fraktionen - also kein Diskussionsbedarf – besteht, außerdem noch solche TOPs, über die zwar einzeln abgestimmt wird, jedoch Konsens darüber besteht, dass keine Aussprache stattfinden soll.
Es braucht dann in der Plenums-Sitzung nur noch über diese Konsensliste abgestimmt zu werden – ein Procedere, welches im Hinblick auf Zeitersparnis sehr effizient ist.
Von ursprünglich 53 debattierbaren TOPs waren solchermaßen – ohne die Großen Anfragen – sieben übrig geblieben. Der letzte von ihnen, „TOP 14.19“, war ein Antrag der CDU-Fraktion mit dem Titel „Dienstleistungsangebote der Deutschen Post AG im Bezirk Treptow-Köpenick“. In ihm empfahl die Antragstellerin dem Bezirksamt, „... sich dafür einzusetzen, dass die Angebote der Deutschen Post AG … auch in der Zukunft wohngebietsnah über Dienstleistungsfilialen im Bezirk Treptow- Köpenick erreichbar bleiben.“
Die Debatte entzündete sich am Postamt in der Bölschestraße.
In den Tagen zuvor war ein Artikel in einer der Berliner Boulevard-Zeitungen erschienen, in dem Oliver Igel ankündigte, seine Fraktion werde in der BVV-Sitzung einen Änderungs-Antrag einbringen, der die Forderung enthalte, die Postfiliale solle in das Bürgeramt im Myliusgarten ziehen. Es entstünden dann auch Mieteinnahmen, welche zur Finanzierung zusätzlicher Stellen in der Bezirksverwaltung verwendet werden könnten.
In der BVV-Sitzung lag dieser angekündigte Änderungs-Antrag nicht vor. Es gab nur einen, schriftlich vorliegenden, Änderungsvorschlag der Fraktion der Linkspartei. Er bestand in einer Einfügung in den Antragstext. Sie sollte das Anliegen des Antrags dahingehend erläutern, dass die jetzt auftretenden Probleme mit den Postfilialen der Privatisierung der früheren Deutschen Bundespost geschuldet und deren schädliche sozialen Auswirkungen nun einzudämmen seien.
An genau dieser Privatisierung entzündete sich eine heiße Debatte, welche als eine Mischung aus Spott, Ernst, Spaß und Humor bezeichnet werden kann.
Oliver Igel musste geahnt haben, dass jener Zeitungsartikel alsbald thematisiert werden würde und versuchte, durch eine Art Vorwärtsverteidigung der Sache Wind aus den Segeln zu nehmen: Er wisse um die Ungewöhnlichkeit dieser Überlegung, doch seine Fraktion habe die nötige „Kraft“ dazu. „Oh,oh“ und ähnliche Zwischenrufe kamen aus dem Plenum. Diese setzten wieder ein, als Igel darauf hinwies, dass soziale Belange, um die es hier ja gehe, ein Grundelement sozialdemokratischer Politik seien. Die Oh- und Ah-Rufe kamen sowohl von der Linkspartei, aber auch von der FDP und der CDU-Fraktion. Sein Hinweis schließlich, die Privatisierungen seien maßgeblich durch die Politik konservativer Parteien verursacht worden, riefen FDP und CDU auf den Plan. Förster und auch Christian Schild (CDU) hielten mit humorvollem Spott entgegen, es sei die rot-grüne Bundesregierung gewesen, die die Post privatisiert habe. Marcus Worm (Bündnis90/Die Grünen) betonte in dieser nicht immer von vollendeter Ernsthaftigkeit geprägten Diskussion, dass seine Partei unbedingt uneingeschränkten Wettbewerb auch in diesem Marktbereich fordere.
Schließlich mischte sich Ernst Welters (Linkspartei) in die Debatte ein. Er unternahm den Versuch, sie unter bestimmten Gesichtspunkten zu strukturieren, wies auf die Gefahr hin, dass jede Menge unterschiedlicher Briefmarken entstehen könnten, und plädierte dafür, den Ausflug in die Bundespolitik zu beenden und sich wieder den rein bezirklichen Belangen zuzuwenden – und erhielt dafür Applaus aus fast allen Fraktionen.
In einer etwas hitzigen Atmosphäre wurde über die Anträge anschließend abgestimmt. Die CDU wollte, dass zuerst über ihren Ursprungsantrag abgestimmt werde. Siegfried Stock (SPD), BVV-Vorsteher und damit Sitzungsleiter, konterte, es läge immer noch an ihm, zu bestimmen, welches der weitergehende, und damit zuerst abzustimmende, Antrag sei. Und dies sei der Änderungs-Antrag der Linkspartei. Über den wurde abgestimmt, er fand jedoch keine Mehrheit. Der CDU-Ursprungsantrag bekam dann die überwiegende Mehrheit.
Bei der ganzen Angelegenheit ging es konkret letztlich um die Aufforderung an das Bezirksamt, einen Brief an die Deutsche Post zu schicken mit Hinweis auf die diesbezügliche Beschlusslage der BVV-Treptow-Köpenick, verbunden mit der Bitte, diese in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Deutsche Post wird darauf antworten – oder vielleicht auch nicht.
Der Wahlkampf ist zum Glück zu Ende.
Es grüßt Sie
Peter Leiß
Bezirksverordneter
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