Joachim Schmidt hatte sich das nicht träumen lassen. Joachim Schmidt? Der Bezirksverordnete von Treptow-Köpenick ist seit neuestem Mitglied der FDP-Fraktion in der BVV. FDP-“Fraktion“? Die hatte doch bisher mit ihren zwei Vertretern „Gruppen“-Status? Richtig. Doch nunmehr ist sie Fraktion, seit neuestem.
„Seit neustem“ – „seit neuestem“. Besteht da ein Zusammenhang? Richtig. Schmidt, bis Mitte November Mitglied der bis dahin siebenköpfigen CDU-Fraktion, wechselte zur FDP, die solchermaßen den Fraktions-Status erlangte.
Laut BVV-Geschäftsordnung steht jeder Fraktion in jedem der insgesamt zwölf Ausschüsse der BVV mindestens ein Sitz mit Rede- und Stimmrecht zu. Bei den kleineren Ausschüssen bereitet dies kein Problem: Der Ausschuss wird einfach um einen Sitz aufgestockt, der der neuen Fraktion zusteht.
Probleme gibt es, wenn ein Ausschuss bereits die maximal zulässige Anzahl der stimmberechtigten Mitglieder erreicht hat, nämlich 15. In vier BVV-Ausschüssen ist dies der Fall. Dann muss jeweils ein Grundmandat an die neue Fraktion abgegeben werden.
Dies war bereits einmal in der im Herbst nächsten Jahres endenden Wahlperiode der Fall. Barbara Chrabek wechselte von den Grauen Panthern zur SAG, der Nachfolgeorganisation der WASG, und verhalf ihr als drittes Mitglied ebenfalls zu dem begehrten Fraktions-Status. Damals gab die Fraktion der Linkspartei, mit 16 Mitgliedern zweitgrößte Fraktion in der BVV, insgesamt vier Ausschusssitze an die neue Fraktion ab.
Nunmehr lag der November-Plenarsitzung eine Drucksache vor, ausgearbeitet vom BVV-Vorsteher Siegfried Stock (SPD), in der er eine Aufstockung dieser vier Ausschüsse um jeweils ein Grundmandat empfahl. Die Begründung lautete: In Ausnahmefällen sei eine Aufstockung möglich, in der BVV säßen jetzt sieben Fraktionen.
Zugleich lag ein Änderungsantrag der Linkspartei vor, es bei der jetzigen Anzahl der Sitze zu belassen.
Oliver Igel, der Fraktionssprecher der 19-köpfigen SPD-Fraktion, argumentierte, die Ausschussbesetzungen hätten zwei Grundsätze zu befolgen: Den Minderheitenschutz zu gewährleisten, dies werde durch die BVV-Geschäftsordnung mit dem Grundmandat gefordert, und die Mehrheitsverhältnisse im Plenum müssen zudem widerspiegelt werden. Genau dies geschehe durch die Vorlage des Vorstehers.
Philipp Wohlfeil, der Sprecher der mittlerweile 17-köpfigen Fraktion der Linkspartei, dagegen argumentierte, es sei jetzt wiederum die Situation gegeben, als die SAG Fraktions-Status erhielt. In der damaligen Debatte hatte es von Seiten des BVV-Vorstehers geheißen, eine Aufstockung sei nicht möglich. Deshalb habe nunmehr die SPD-Fraktion jeweils einen Sitz abzugeben.
Nach bereits zwei Sitzungsunterbrechungen mit jeweils der üblichen Zeitdauer von zehn bis 15 Minuten ging Christian Schild, der CDU-Fraktionssprecher, ans Pult und erbat eine weitere Sitzungsunterbrechung von einer halben Stunde. Die Begründung hierfür lautete, seine Fraktion – welche zuvor zu erkennen gab, dass für seine Fraktion eine Aufstockung nicht zustimmungsfähig sei – werde "unter Druck" gesetzt. Daher bestehe interner Beratungsbedarf.
Nach knapp einer Stunde – nach nochmaliger Verlängerung der Unterbrechung - ging die Sitzung weiter und es wurde abgestimmt. Zunächst über den Änderungsantrag der Linkspartei: 27 Verordnete, diejenigen der SPD, der CDU sowie der FDP, stimmten gegen diesen Änderungsantrag, die restlichen 25 Verordneten stimmten dafür. Bei der Abstimmung über die Empfehlung des Vorstehers kam das gleiche Ergebnis zustande – nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Somit war diese Empfehlung angenommen.
Bei Kampfabstimmungen, und dies war eine klassische, kommt es nach Verkündung des Abstimmungsergebnisses zumeist zu emotionalen Reaktionen wie Klatschen, Rufen oder auch Unmutäußerungen der unterlegenen Seite. Nichts von alledem bei dieser Abstimmung: Es herrschte Schweigen.
Joachim Schmidt meinte am Rande der Sitzung: Er hätte sich nicht träumen lassen, dass sein Übertritt solch ein Beben verursachen würde.
Peter Leiß, Bezirksverordneter aus Friedrichshagen
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