14.01.2013


Erster EU-Beschwerde-Erfolg für Friedrichshagener Bürgerinitiative (FBI)

Fragen an Frau Dr. Strachwitz: Wie ist die aktuelle Lage einzuschätzen?

Schirm: Herzlichen Glückwunsch Frau Dr. Strachwitz. Mit Ihrer Projektgruppe FBI haben Sie als Vorsitzende des Bürgervereins Friedrichshagen e.V. dafür gekämpft, in Brüssel Gehör zu finden, und Ihre Anfang 2012 eingereichte EU-Beschwerde war offenbar erfolgreich.

Strachwitz: Von einem hundertprozentigen Erfolg kann noch nicht die Rede sein, aber ein erstes Etappenziel scheinen wir erreicht zu haben.

In einer internen Stellungnahme erklärte die EU-Kommission, dass die Auswirkungen der endgültigen Flugroutenfestsetzung für den BER Flughafen in weiten und insbesondere geschützten Bereichen bisher von den Behörden nicht geprüft worden seien. Nach EU-Recht ist eine solche Festlegung ohne die erforderlichen Verträglichkeitsprüfungen jedoch nicht zulässig.

Damit bestätigt die EU-Kommission unsere Auffassung und folgt unserer Beschwerde, die auch vom NABU Berlin und von der Grünen Liga Berlin mitgetragen wird. Darin haben wir gerügt, dass die Neufestsetzung der Flugrouten für den BER Flughafen ohne vorherige Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sowie einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für die nun neu überflogenen Natura-2000-Schutzgebiete gegen Europäisches Recht verstößt.

Des Weiteren scheint die EU-Kommission auch unserer Auffassung zu folgen, dass generell bei der Festlegung von Flugrouten die deutsche Gesetzgebung zur Umsetzung europäi­schen Rechts unzureichend gefasst ist, denn das deutsche Luftverkehrsrecht und das deutsche UVP-Gesetz sehen – entgegen dem EU-Recht – diese Prüfungen bei der Festsetzung der Flugrouten nicht vor. Der grundsätzliche Ausschluss der Durchführung dieser Verträglichkeitsprüfungen im nationalen deutschen Recht ist mit Europäischem Recht also nicht vereinbar.

Sehr deutlich hervorzuheben ist an dieser Stelle zudem, dass der aktuelle Etappensieg auf EU-Ebene – und wir hof­fen, dass weitere folgen werden – nur erzielt werden konnte durch die finanziellen Zuwen­dungen vieler Unterstützer der FBI. Die an die FBI gegangenen Spenden er­möglichten, dass sich die fachliche Expertise der FBI mit der Rechtskompetenz der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte effektiv verbinden konnte.

Schirm: Und wie geht es nun weiter?

Strachwitz: Diese Zwischenmeldung aus der EU-Kommission ist erfreulich, doch der interne Entscheidungsprozess innerhalb der Kommission ist noch nicht abgeschlossen. Die Frage, ob wegen der unionsrechtswidrigen Festsetzung der An- und Abflugverfahren ein Vertrags­verletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet wird, ist somit noch offen.

Wir hoffen jedoch, dass die Kommission an dieser vorläufigen Auffassung festhält und für den Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht umgehend die festgestellten Verstöße vorbehaltlos ausräumt, auch Klage zum EuGH erheben wird.

Schirm: Welche Auswirkungen sind denn nun für die sog. Müggelseeroute zu erwarten?

Strachwitz: Schon mit der vorläufigen Stellungnahme der EU-Kommission und dem dadurch erzeugten großen Medienwirbel ist zu erwarten, dass sowohl die sog. Müggelseeroute als auch andere in Frage stehende Routen, so z.B. die Route über den Rangsdorfer See, nochmals auf den Prüfstand gestellt werden. Darüber hinaus wird diese Einschätzung der EU-Kommission voraussichtlich auch Einfluss nehmen auf die in diesem Jahr zur Verhand­lung anstehenden Klagen gegen die Festlegung von Flugrouten über Gebieten, die nach EU-Recht einer FFH- und Umweltverträglichkeitsprüfung hätten unterzogen werden müssen, aber bisher nicht entsprechend geprüft wurden. Bereits am 23. Januar wird am OVG Berlin-Brandenburg die Klage gegen die Wannseeroute verhandelt.

Sollte die EU-Kommission ihre Position beibehalten und rechtliche Schritte gegen die Bun­desrepublik Deutschland einleiten, dann sind die Konsequenzen sicherlich gravierender, im Konkreten aber im Moment ebenso schwer abzusehen.

Einerseits könnte es darauf hinauslaufen, dass bei allen in Frage stehenden Flugrouten, so auch der Müggelseeroute, vor Inbetriebnahme des Flughafens eine nachträg­liche FFH- und Umweltverträglich- keitsprüfung vorgenommen werden muss. Dies würde eine zeitliche Verzö­gerung von ca. zwei bis drei Jahren bedeuten.

Andererseits könnte dem neuen Flughafen die Auflage gemacht werden, den Betrieb nur auf den Flugrouten abzuwickeln, die im Planfeststellungsverfahren ausgewiesen und deren Auswirkungen durch FFH- und Umweltverträglichkeitsprüfungen geprüft wurden. Das würde eine Rückkehr zu den Geradeaus-Flugrouten nebst Südabkurvung von der Südbahn (bei Abflügen gen Osten) bedeuten.

Darüber hinaus würde die Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich vor die Aufgabe ge­stellt werden, ihre Gesetzgebung so zu ändern, dass die Anforderungen der europäischen FFH- und UVP-Richtlinie auf das Verfahren zur Festlegung von Flugrouten Anwendung finden.

Insbesondere die zeitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser – dann – zu treffenden Entschei-
dun­gen, Maß­nahmen, Anpassungen etc. auf den Betrieb des neuen Flughafens sind in ihrem ganzen Umfang jetzt nicht vorhersehbar.

Als Konsequenz wären m.E. sowohl die „Rückkehr“ zu einem eher bescheidenen Single Airport als auch eine neue Standortentscheidung möglich.

Schirm: Was muss denn als nächstes passieren, damit Sie sich mal etwas zurücklehnen können?

Strachwitz: Die FBI und auch ich persönlich werden uns in absehbarer Zeit leider nicht zurücklehnen können. Dazu ist noch viel zu viel im Flusse, und die Erfahrung hat uns gezeigt, dass Unvorhergesehenes und Unvorstellbares – im Positiven wie aber leider meist im Negativen – jederzeit auf den Plan treten können und uns ein promptes Agieren abverlangen. Zudem sind und bleiben wir auch von uns aus in allen Richtungen aktiv, denn die Unzulänglichkeiten der BER-Planungen sind ja noch lange nicht alle aufgedeckt oder gar vom Tisch und werden auch mit einer neuen Formierung von Aufsichtsrat und Geschäftsfüh­rung vermutlich nicht abreißen.

Die FBI ist darüber hinaus mit vielen anderen Bürgerinitiativen in Berlin und Brandenburg der Meinung, dass gerade jetzt, angesichts einer abzusehenden nochmaligen enormen Kosten­explosion für den BER Airport, die Fragen des Standortes, der Dimension, der zu erwarten­den Wirtschaftlich­keit eines neuen Flughafens noch einmal grundlegend neu und zukunfts­orientiert, u.U. über den Landestellerand hinaus, gestellt und sowohl innovativ als auch mit einer allseits tatsächlich nachhaltigen Wirkung und möglichst geringen Beeinträch­tigung von Mensch und Natur beantwortet werden müssen.

Schirm: Könnten Sie mit den Montagsdemos nun Pause machen und abwarten. Wie sind da Ihre Pläne?

Strachwitz: Die FBI wird bald darüber beraten, wie sie in den kommenden Monaten strate­gisch verfahren wird, so auch, ob die Montagsdemos weitergeführt werden. Grundsätzlich ist auch über alternative, möglichst ebenso effektive, aber weniger aufwendige Protestformen nachzudenken, zumal die mögliche Eröffnung eines BER Flughafens im Moment  ja auf ein sehr vages Jahr 20XX fällt… Darüber hinaus stellt sich natürlich auch weiterhin die Frage der Finanzierung zukünftiger Maßnahmen und Aktivitäten.

Heute findet die 81. Montagsdemo als Mahnwache statt. Niemals hätten wir im April 2011 gedacht, so lange protestieren und durchhalten zu müssen, und – hätten wir es bereits gewusst - wohl kaum hätten wir geglaubt, so lange durchhalten zu können. Dank aller Mitstreiter in der FBI wie auch Dank aller Verbündeter, die so hartnäckig geblieben sind und sich jeden Montag auf dem Marktplatz einfinden, konnten wir einen solchen von den Medien stets beachteten, effektiven Protest erzielen.

Und heute Abend werden wir, angesichts des Etappensieges, selbstverständlich auch ein bisschen feiern.

Schirm: Vielen Dank für Ihre Stellungnahme! Zum Wohle Friedrichshagens wünschen wir Ihnen und den FBI-Akteuren weiter gute Fortschritte und zum Gelingen aller Vorhaben das stets nötige Quäntchen Glück.

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