Ein Spaziergang mit Entdeckungen
Die wichtigste Straße im Köpenicker Ortsteil Friedrichshagen, die in gerader Linie vom S-Bahnhof zur Brauerei „Bürgerbräu“ führende 1250 Meter lange Bölschestraße, ist sehr vielen Berlinern und auch ihren Gästen bekannt, als vielbenutzter Weg zum Müggelsee und auch als beliebte Einkaufs- und Bummelmeile.
Dass man aber auf dieser – oft als „Boulevard des Ostens“ bezeichneten Straße nicht nur einkaufen, sondern auch viele Zeugnisse der Geschichte des einstigen Kolonisten- und Feinwollspinnerdorfes entdecken kann, wird Ihnen ein Spaziergang mit den Ortschronisten Inge und Rolf Kießhauer zeigen.
Die Texte wurden größtenteils der Broschüre „Entdeckungen auf der Bölsche“ von C-Press aus dem Jahre 1996 mit freundlicher Genehmigung der o.g. Autoren entnommen.
Die Fotos der Gegenwart wurden im August 2006 von Katrin Hoffmann aufgenommen. Die historischen Bilder sind aus dem Archiv von Joachim Kubig.
Unser historischer Spaziergang beginnt am S-Bahnhof.
Im Jahre 1849 wurde hier ein Haltepunkt der 1842 in Betrieb genommenen Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn eingerichtet. Die damit vorhandene schnelle Verbindung zur aufstrebenden Großstadt Berlin, brachte für Friedrichshagen in den folgenden Jahren den bitter notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung durch seine Entdeckung als Sommerfrische und später sogar als Kurort der Berliner.
Der viergleisige Ausbau der Strecke zwischen dem damaligen Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) und Erkner um 1900, erforderte eine Dammaufschüttung und Hochverlegung der Gleise – gleichzeitig auch den Bau eines neuen Bahnhofes.
Der Bahnhof hatte einen erheblichen Mangel: es gab nur einen Zu- und Abgang.
Im Juli 1947 wurde die ehemalige Dorf- und Friedrichstraße in Bölschestraße, nach der wohl bekanntesten Persönlichkeit des Friedrichshagener Dichterkreises, Wilhelm Bölsche, umbenannt.
Die ursprüngliche Dorfstraße erstreckte sich von der heutigen Lindenallee südwärts. Auf jeder Straßenseite war sie mit 25 Kolonistenhäusern bebaut. Im Originalzustand ist keines dieser Häuser mehr vorhanden. Das Haus Nr. 82 erinnert noch stark an den Ursprungsbau, es ist Teil eines ehemaligen Doppelhauses.
Das Rathaus, die Nr. 87 war einst der ganze Stolz Friedrichshagens. Als sich 1897 die Einwohnerzahl der Gemeinde mit raschen Schritten der Zahl 10.000 näherte, und das alte Gemeindeamt in der Breestpromenade 12 schon längst viel zu eng geworden war, beschloss der Gemeindevorstand im März 1897 den Bau eines repräsentativen Rathauses. Am 18.September 1899 nahm die Verwaltung den Betrieb auf, die Einweihung erfolgte jedoch erst am 10. November.
Im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs 2001/2002 hat das Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin für den Beitrag Friedrichshagen eine Plakette für die Leistungen zur Bewahrung und Stärkung des historischen Ortskerns Friedrichshagen erhalten, welche am Rathaus angebracht wurde.
Im Haus Nr. 97, 1876 erbaut, mehrfach erweitert und umgebaut befand sich das Restaurant „Eiskeller“. Es erhielt seinen Namen nach einem sich ehemals auf dem Gelände befindlichen Keller für winters gebrochenes Eis aus dem Müggelsee, dass für Fleischereien, Gaststätten etc. hier eingelagert wurde. Über dem Eiskeller wurde ein großer Tanzsaal errichtet, der auch das bevorzugte Versammlungslokal der Friedrichshagener Sozialdemokraten wurde.
Ein Haus mit reicher Tradition als Gastwirtschaft war zwischen 1904 und dem zweiten Weltkrieg das Haus Nr. 105. Von den verschiedenen Inhabern wurde es als „Böhmisches Brauhaus“, „Müggelcafe“, „Cafe Mignon“, „Tanzpalast Astoria“ u.a. phantasievollen Namen beschrieben. Jetzt ist es das italienische Restaurant „Tresoli“.
Der denkmalgerecht sanierte Marktplatz
Der nun erreichte Marktplatz wurde in seiner heutigen Form und Größe bereits bei der Anlage des Ortes vor mehr als 250 Jahren als Dorfmittelpunkt projektiert.
Das große Karree in der Mitte der Dorfstraße hieß im Volksmund stets „Rondell“ oder „Rundteil“. Seine Westseite begrenzten Kolonistenhäuser, an der Ostseite stand das Bet- und Schulhaus. Die Kolonistenhäuser, in der Regel zwischen 1860 und 1880 umgebaut und erweitert, wurden 1968 abgerissen und durch den unschönen Klotz der ehemaligen Kaufhalle und heutigem Billigmarkt ersetzt. Auch der zehngeschossige Plattenbau verunziert seit dieser Zeit das Antlitz des Marktplatzes.
Der Marktplatz selbst, der von 1913 bis ca. 1920 kurzzeitig in „Friedrich Platz“ umbenannt war, zierte von 1904 bis kurz nach 1945 ein von Felix Görling entworfene und in der Friedrichshagener Bronzegießerei Gladenbeck gegossene Statue Friedrich des Großen. Der Verbleib ist unbekannt.
2003 erhielt der Marktplatz eine Aufwertung. Das verschollene Denkmal wurde mit Spendengeldern nachgefertigt und zur 250jährigen Jubiläum im Mai 2003 festlich eingeweiht.
Das imposante Eckhaus Aßmannstraße 46/ Bölschestr. Nr. 114 wurde 2005 wieder liebevoll restauriert. Eine Gedenktafel erinnerte ab dem Jahre 1960 an Richard Aßmann, Mitglied der SPD und Kreisleiter des „Reichsbanner“, ein Opfer der Köpenicker Blutwoche im Juni 1933, der hier seinen letzten Wohnsitz hatte. Nach der „Wende“ wurde diese Gedenktafel leider gestohlen und noch nicht wieder ersetzt.
Die Geschäftsräume in der gesamten Erdgeschoßzone dienten vom Bau des Hauses an als Kaufhaus. Erst jüdisch, dann arisiert und später KONSUM.
Das nächste Haus von historischem Interesse ist die Nr. 126. In dem im Jahr 1870 im Kolonistenstil errichteten Haus befand sich von 1892 bis 1912 eine kleine Brauerei, die aber wohl dem Konkurrenzdruck der großen Bürgerbräu Brauerei nicht lange gewachsen war.
Auf dem Grundstück Nr. 136 errichtete 1869 der Mehl- und Fouragehändler Carl Lerche sein zweistöckiges Wohngebäude, welchem er auf dem weiträumigen Gartengelände 1871 „die Aufstellung einer holländischen Windmühle“ folgen ließ. 1903 erfolgte bereits der Abriss und der so genannte Mühlenberg diente zur Bausandgewinnung. Die Mühlsteine existieren heute noch, sie wurden mit zur Hofpflasterung genutzt.
Das neu bebaute Eckgrundstück zum Müggelseedamm die Nr. 137 ist sehr geschichtsträchtig. Hier wurde nach der Gründung des Ortes im Jahre 1753 der „Neue Krug“, also die Dorfgaststätte errichtet, der in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts „Conrad`s Festsälen“, einer großen Gaststätte mit mehreren Sälen für 200 bis 1000 Personen weichen musste. Das in den 20er Jahren in „Gesellschaftshaus Friedrichshagen“ umbenannte Restaurant wurde in den 70er Jahren wegen Einsturzgefahr abgerissen.
Bevor die Tour nun auf der Gegenseite wieder zum Bahnhof zurück fortgesetzt wird, sollte man kurz der Pfeiffergasse Reverenz erweisen. Diese kürzeste aller Friedrichshagener Straßen, diente der Gemeinde lange Zeit als Zugang zur Spree und wurde hauptsächlich von der Feuerwehr als Löschwasserentnahmestelle bei den häufigen Strohdachbränden genutzt. Deshalb ihr ursprünglicher Name „Spritzenweg“. Ab 1894 diente sie auch als Zufahrt zur Anlegestelle der Kettenfähre über die Spree. Im Jahre 1913 wurde der Spritzenweg in „Pfeiffergasse“ umbenannt.
Johann Friedrich Pfeiffer (1707-1787), ehemals Unteroffizier in der Preußischen Armee, der sich unter Friedrich II. bis zum Kriegs- und Domänenrat hochdiente, ist der eigentliche Gründer Friedrichshagens. Heute grenzt die Pfeiffergasse an das Gelände der Berliner Bürgerbräu. In der Privatbrauerei – auch als „Familienbrauerei im Grünen“ weit über Friedrichshagen hinaus bekannt – braut man seit mehr als 130 Jahren Spitzenbiere. Lohnenswert auch der Besuch des Museums in der Brauerei.
Als erstes Haus auf der Rücktour sollte die Nr. 7 beachtet werden. Im Hof- und Gartengelände wurde 1898 eine 87,50 m lange und 3,40 m breite „Seilerbahn“ (Reeperbahn) errichtet, auf der extrem lange Seile hergestellt werden konnten.
Die heutige Nr. 12a, ein 1871 modernisiertes Kolonistenhaus, ist eines der wenigen im Grundriss nicht veränderten Kolonistenhäuser der Bölschestraße. Es verfügt heute noch über die Originalmaße von 24 Fuß = 7,54 Meter im Quadrat. Liebevoll restauriert und als Boutique genutzt ist es heute ein wahres Schmuckstück der Straße.
Das 1893/94 entstandene Haus Nr. 20, Bauherr, Entwurf und Bauausführung Wilhelm Thieme, stellte mit seiner reich gegliederten Fassade und den dekorativen Schmuckelementen versehen sicher eine gute Werbung für das Können und den Einfallsreichtum des damals führenden Friedrichshagener Baugeschäftes dar.
Nun ist wieder der Marktplatz erreicht. Auf dem Rondell vor dem Haupteingang der Christophoruskirche fällt das Denkmal zur Erinnerung an die Toten des Krieges von 1870/71 auf. Es war ursprünglich 1879 mitten auf dem Marktplatz aufgestellt worden. Als 1903 die Aufstellung des Denkmals für Friedrich II. aktuell wurde erfolgte seine Umsetzung auf den heutigen Standort, dorthin, wo gerade die alte Kirche abgerissen worden war.
Die neue Kirche, 1902/03 unter der Schirmherrschaft der Deutschen Kaiserin, nach einem Projekt des Architekten Jürgen Kröger durch das ortsansässige Baugeschäft Ernst Schrammer im Stil der märkischen Backsteingotik errichtet, verlor bei einem Unwetter im November 1972 ihre Turmspitze, die danach leider nur in veränderter, wesentlich vereinfachter und stilwidriger Form wiedererrichtet wurde.
Der nun folgende, wenig ins historische Straßenbild passende, jetzt als Verbrauchermarkt genutzte flache Hallenbau, entstand Ende der 70er Jahre nach Abriss von zehn in der Regel zwischen 1873 und 1900 modernisierten Kolonistenhäusern.
Das heute die Hausnummer 45a tragende einstöckige Haus im Kolonistenstil an der Ecke Drachholzstraße – Drachholz war Gemeindevorsteher von 1881-1893 – ist sehr eng mit der Nachwendezeit verbunden. Hier hatte der „Friedrichshagener Bürgerverein e.V.“ von 1990 bis 1993 seinen Sitz, nachdem es zuvor in der DDR ca. zwei Jahre als „Klub der Werktätigen“ ebenfalls Bürgerinteressen gedient hatte.
Am Haus Nr. 49 ist das mit schmiedeeisernen Gittern versehene Eingangsportal sehr anschauenswert. Die Buchstaben FF mit der Jahreszahl 1894, deuten auf den Bauherren Franz Franke, seines Zeichens „Gemeindekassenrendant“ hin.
Das aufgestockte Kolonistendoppelhaus Nr. 58, welches bereits 1868 nach mehreren Umbauten seine heutige Ansicht erhielt, wurde im Mai 1875 von Carl Heinrich Brockmann die erste Ortsapotheke eröffnet. 1905 wurde sie ins Handelsregister als „Rathaus-Apotheke“ eingetragen. Seit 1991 befindet sich der Verkaufsraum der Apotheke in der Nr. 59.
Das 1755 erbaute Haus Nr. 51 beherbergt seit 1983 die Gaststätte „Die Spindel“, der Name erinnert an die Friedrichshagener Feinwollspinner. Im Keller sind das Felssteinfundament und im Mitteltrakt des Hauses Wände aus Lehmsteinen noch sichtbar.
Das Haus Nr. 65 ist das einzige Gebäude, mit Ausnahme des Verbrauchermarktes, welches weit hinter der ansonsten streng beachteten Baufluchtlinie errichtet wurde. Im Jahre 1873 erbaut, war es von 1891-1912 im Besitz des jüdischen Arztes Dr. Max Jacoby, der hier wohnte und praktizierte. Seit 1985 wird das Haus als Jugendclub genutzt.
Auf dem heutigen Grundstück Nr. 69 wurde 1872 das „Gesellschaftshaus“ errichtet. Im Jahre 1923 wurde das Grundstück zu einem kinematographischen Theater mit 529 Sitzplätzen umgebaut. Heute ist unser UNION Filmtheater wieder gut besucht.
Neben Filmen finden dort auch unter Einbeziehung des Hofes auch andere Events statt. Ich hoffe, die Restaurierung kann endlich beginnen.
Als letzte Grundstücke der Bölschestraße auf dieser Seite folgt nun das Postgebäude Nr. 69a. Die Nr. 70 war das ehemalige „Waldhaus-Restaurant“.
Das neue Gebäude der Post entstand auf dem Grundstück 69a in den Jahren 1928/29 und wurde am 18. März 1929 den Friedrichshagenern zum Gebrauch übergeben.
Es empfiehlt sich ein Bölschestraßenbummel zu jeder Zeit.
Katrin Hoffmann